Rundbrief 03 / 99

Hinter dem Horizont geht’s weiter

Der Countdown läuft. Mit Riesenschritten nähern wir uns der Jahrtausendwende.

Wintergewitter in Braunschweig: Gespenstisch zuckende, grelle Blitze am schneeverhangenen Nachthimmel haben bereits mehrfach die Bürger dieser Stadt in 1999 aus ihrem Schlaf gerissen. Sind dieses die Vorboten einer neuen Zeit, die noch im Ungewissen vor uns liegt und so manch einen in Weltuntergangsstimmung versetzt?

In den letzten Monaten brachten eisglatte Straßen zeitweise den Verkehr unserer Region gänzlich zum Erliegen und forderten mehrere Todesopfer. Glimpflicher hingegen verliefen die kleineren Katastrophen, wie das Überfluten der neuen Kindertagesstätte an der Kasernenstraße kurz vor der Übergabe an das Jugendamt und das Herunterkrachen der Deckenunterkonstruktion der IGS Querum, bei denen zum Glück nur Sachschäden entstanden.

Und was passierte sonst noch in den ersten Monaten des neuen Jahres?

Das Stadtplanungsamt folgte einer Einladung des Architekten und Ingenieur Vereins Braunschweigs und des Bundes Deutscher Architekten und legte kommunale Planungsvorhaben zu einer einfühlsamen Gesamtbetrachtung dieser Stadt bis ins Jahr 2020 vor, ohne besserisch aufzutreten, so berichtet die BZ in ihrer Ausgabe vom 30.1.99.

Kurze Zeit später tobten die Jecken in einem der größten Karnevalszüge Norddeutschlands durch unsere Straßen, erheiterten das Volk und feierten die Premiere einer weltweiten Übertragung des ausgelassenen närrischen Treibens via Internet.

Und während wir noch in Katerstimmung waren, der letzte Müll durch die Stadtwerke beiseite geschafft wurde, kriegten die Braunschweiger die Kehrseite der Globalisierung / Vernetzung und des einhergehenden immer stärker werdenden Wettbewerbs zwischen den Städten zu spüren. Enttäuscht erfahren unsere PolitikerInnen aus der BZ vom 18.2.99 vom Aus des Pantheums. Geplant war dieses Musicaltheater mit 1750 Plätzen in den ehemaligen Pantherwerken in Braunschweig, realisiert wird es hingegen am Elbufer der Stadt Magdeburg.

Nach Professor Helmut C. Schulitz bestimmen immer mehr Sponsoren, was wo und wie gebaut wird. Kommunale Verwaltungen und Politiker sollten ”sich besser in die Psyche hineinversetzen, um die Geldgeber in die richtige Bahn zu lenken” (BZ 30.1.99).

Das Informationszeitalter, zu dem das nächste Jahrtausend erklärt wird, führt zu weltweiten Fusionen von Unternehmen, Märkten, die über Internet unabhängig von kommunalen Bedürfnissen mit Rohstoffen und Humankapital operieren und sich immer weniger um nationale, standortbedingte Bedürfnisse der Menschen kümmern. Was zählt sind einzig und allein die Gewinne, die möglichst ohne Reibungsverluste erzielt werden sollen. Dies sind Fakten, an denen auch wir in Braunschweig nicht vorbeikommen.

Gesamtstädtisch nutzvolle Planungen weichen mehr und mehr Solitär-Bauvorhaben, deren Konzepte durch Investoren bestimmt werden und wenig mit den Zielen kommunaler Bebauungspläne übereinstimmen. Hinsichtlich dieser Strömungen lassen sich Politiker, aber auch die Verwaltungsspitze mehr und mehr auf einen ”Kuhhandel” ein, indem sie auf mögliche externe große Investoren schielen und eigene sinnvolle Planungen mir nichts, dir nichts vom Tisch schieben. Bauvorhaben werden zur ”Chefsache” erklärt und die verantwortlichen kommunalen PlanerInnen ausgeschaltet.

Die Einflußnahme der BügerInnen gestaltet sich so immer schwieriger und führen angesichts eben beschriebener Entwicklungen auch im braunschweiger forum zur Krise. Reicht ehrenamtliches Engagement überhaupt noch aus, um den Interessen Braunschweiger BürgerInnen aus stadtplanerischer Sicht gerecht zu werden? Wir benötigen viel mehr Unterstützung interessierter, engagierter und couragierter Menschen, die Visionen für ihre Stadt entwickeln und zudem über einen ”langen Atem” verfügen ihre Ideen gestalterisch umzusetzen.

Zarte Pflänzchen sind noch vorhanden, so:

- ein interessantes Konzept für die Umgestaltung eines stillgelegten Ringgleisabschnittes in einen Fuß- und Radweg, das aus der Feder Willhelm Meisters stammt;

- oder auch eine Ideenskizze über die grafische Verschönerung bedeutender Straßen und Gebäude durch Graffity Elemente als Beitrag zur Expo von Hans Rupp;

- Interessierte werden auch für die Mitarbeit des Verkehrsentwicklungsplanes gesucht, bei dem Kirsten Wiegmann und Ina Böhme über das braunschweiger forum Bürgerinteressen eingebracht haben;

- sehr dringend werden Helfer für die Durchführung der diesjährigen Radreisebörse am 27.3.1999 unter der Verantwortung von Hans Fechtel benötigt ("siehe Termine");

- aber auch Mohamed El Serougi braucht Unterstützung bei seinen Aktivitäten bezüglich der Umsetzung von Projekten im westlichen Ringgebiet, die den Gedanken der Agenda 21 entsprechen;

- last not least bitten Maria Kasper und Jens Tegen das braunschweiger forum, zusammen mit dem Verein Rainbow Kids ein Jugendparlament einzurichten, in dem Jugendliche ihre Interessen an der Stadtentwicklung umsetzen können.

Es ist viel zu tun, also packen wir’s an, ohne uns von den aufziehenden dunklen Wolken am Himmel beirren zu lassen!!!
Heidi Wanzelius

 

Windstrom als Zeichen gegen Schacht Konrad

Mit Veranstaltungen, wie ”Windkraft statt Hotspots” oder "Der Countdown läuft..." informiert die EAW (Elm-Asse-Windstrom GmbH) über die beiden bestehenden Windkraft-Anlagen bei Hachum und Apelnstedt und über den Planungsstand ihres neuesten Projektes am Schacht Konrad. Am immer noch als Atommüllendlager diskutierten Standort soll eine auf 1000 kW Nennleistung ausgelegte Windkraftanlage (Nordex N54) gebaut werden. Neben dem symbolischen Wert –als weithin sichtbares Zeichen gegen Atomstrom – reicht die Kapazität der Anlage aus, um immerhin ca. 500 Haushalte mit Strom zu versorgen (1,5 MWh Jahresleistung). Ein geeignetes Grundstück – direkt an der A39 – kann von einem dem Projekt wohlgesonnenen Landwirt gepachtet werden, der Bauantrag ist genehmigt. Da keine Siedlungen in unmittelbarer Nähe sind und das Gebiet ohnehin von Industrieanlagen geprägt ist, sind keine ernsthaften Einwände von den betroffenen Anwohnern im Sinne von Klagen wegen Lärmbelästigungen oder Landschaftschutz zu befürchten. Die letzte größere Hürde ist nun die Finanzierung des ca. 2 Mio. DM teuren Projektes. Die EAW ist juristisch gesehen eine GmbH & Co. KG, d.h. neben der Einlage von z.Zt. elf Gesellschaftern wird die Finanzierung durch Kommanditisten (vergleichbar mit Kleinaktionären) gesichert. Bislang wurden die bestehenden Anlagen ohne Kreditaufnahmen bei Banken finanziert, dieses vorsichtige Vorgehen hatte lange Planungszeiten bis zur Realisation der Projekte zur Folge, diesmal soll ein Bankdarlehen das Finanzierungskonzept erleichtern. Bei einem erwarteten jährlichen Jahresüberschuß von 212.000 DM durch die neue Anlage scheint dieses Vorgehen keine allzu großen Risiken zu bergen. Trotzdem werden noch Kommanditisten mit Beteiligungen ab 500 DM gesucht, auch, um die hinter dem Projekt stehende Grundphilosophie weiter zu verbreiten. An eine gewinnorientierte Kapitalanlage sollten potentielle Interessenten nämlich nicht denken. Im Vordergrund steht bei der EAW der Idealismus mit dem Grundgedanken, demonstrativ Position zu beziehen für eine Energiepolitik ohne Atomstrom. Wer die EAW bei diesem Vorhaben unterstützen möchte, kann sich unter 05333-1087 (Ingenieurbüro AnTec) nähere Informationen besorgen.
Ommo Ommen

 

Institutionelle Förderung durch das Umweltamt

Eine erfreuliche Nachricht hat uns Anfang letzten Jahres überrascht: seit dem 01.01.1998 gibt es für alle im Umweltbereich tätigen Vereine in Braunschweig die Möglichkeit, sich institutionell fördern zu lassen. Diese vom Umweltamt verwaltete Finanzspritze war bis dato nur einigen ”privilegierten” Vereinen zugänglich. Das braunschweiger forum hat aufgrund der angespannten finanziellen Lage einen entsprechenden Antrag gestellt und prompt eine Zusage über 6.500 DM erhalten. Damit war die Grundfinanzierung für die laufenden Bürokosten im Haushaltsjahr 1998 gesichert. Ob diese Finanzierung auch in den nächsten Jahren so großzügige Ausmaße annimmt, muß sich zeigen. Die Gelder sind Teil des sogenanntes Umwelttopfes, dessen Füllhöhe jedes Jahr neu festgelegt wird. Die Gesamtsumme dieses Umwelttopfes steht übrigens zu 50 % für die institutionelle Förderung und zu 50 % für Einzelprojektförderungen zur Verfügung. Auch unsere Projekte ”Radreisebörse”, ”Fahrradprogramm”, ”westl. Ringgleis” und die Grunderneuerungen der laufenden Ausstellungen wurden mit Sachmittelzuschüssen bedacht, so daß eine gute Motivation für die Durchführung dieser Arbeiten und weiterer thematische Ansätze im vergangenen bestand bzw. für 1999 besteht.
Ommo Ommen

Da tut sich doch was !
Hauptbahnhof Braunschweig, der Zug endet hier !
Reisende ...,

die in den letzten Jahrzehnten per Bahn in unsere Stadt gespült wurden und kofferbepackt das reichlich überdimensionierte zugige, grau in grau gehaltene Bahnhofsgebäude verließen, schauten mehr als einmal verdutzt aus ”der Wäsche”. in fiebriger Neugier auf das bunte Treiben einer schillernden Großstadt wurden sie vom Verkehrslärm erschlagen, nachdem sie sich auf einem himmelschreiend häßlichen Vorplatz wiederfanden.

Hilflos um sich blickend hielten sie Ausschau nach der City. Leute, die über das nötige Kleingeld verfügten, überließen sich in ihrer Orientierungslosigkeit den etwas abseits wartenden Taxen. Die Mehrzahl der Ankommenden verschlug es jedoch in Richtung der Haltestellen von Bus und Straßenbahnen. Ganz Mutige hingegen versuchten ihr Glück, indem sie sich immer der Nase nach mitten durch den quer zum Bahnhof verlaufenden mehrspurigen Verkehrsstrom wagten und sich zu Fuß auf einen weiten, beschwerlichen Marsch einließen, immer in der Hoffnung, doch noch das Einkaufszentrum Braunschweigs zu erreichen.

Hier konnte jeder nachempfinden, was Mitscherlich in den 60iger Jahren mit der Unwirtlichkeit der Städte gemeint hatte. Viele, viele Jahre zermarterten sich Braunschweiger Stadtväter die Köpfe und suchten nach Lösungen. Innerhalb des kommunalen Planungsamtes wurden auf ihre Anweisung hin Konzepte erarbeitet, die gestalterisch gute Qualitäten aufweisen, aber angesichts fehlender Finanzen noch heute in den Schubladen schlummern.

Plötzlich, so schien es, kam mit der Privatisierung der Deutschen Bundesbahn bzw. der Standortwahl der Expo 2000 in die Nachbarstadt Hannover wieder Leben in die Neugestaltung des Braunschweiger Bahnhofes. Ein Wettbewerb wurde ausgelobt, neue Akzente, mit ”heißer Nadel gestrickt”, verblaßten mit der Zeit bis endlich, nach schweren endlos scheinenden Geburtsphasen doch noch ein Konzept im politischen Raum in Abstimmung mit der DB AG und dem Regionalverbund verabschiedet wurde und nunmehr in die Realisierungsphase eintritt.

Aufs Funktionale reduziert, wirkt die Planung blutleer und gestaltlos und konzentriert sich im wesentlichen auf das Rein- und Rauspumpen von Fahrgastströmen, die noch in diesem Jahr, anders als zuvor, überdacht und trockenen Fußes in Bus und Straßenbahn umsteigen können. Anders als in den vergangenen Jahrzehnten, in denen eher nach dem Motto ”Aufgeschoben ist nicht aufgehoben” auch mal völlig illustre Lachnummern wie die Magnetschwebebahn von Herrn Manlik, CDU die Gemüter erheiterten und wieder beiseite geschoben wurden, tickt jetzt die Zeituhr. Das Jahr 2000 steht vor der Tür und pünktlich mit den Silvesterkrachern begann zum Jahreswechsel 1998 / 99 eine für Außenstehende, nicht mit den Planungen vertraute Bahnpendler, eine eher unverständlich wirkende fast blinde Betriebsamkeit.

Eines Tages entdeckten sie einen großen Haufen neuer blitzender Metallrahmen auf dem sonst grünen Mittelstreifen des Berliner Platzes vorm Bahnhof, die sich nach eingehender Betrachtung als brandneue Fahrradständer entpuppten. Eine Woche später wurden diese durch Reihen von Fahrrädern ergänzt. Statt dessen war der Bahnhofsvorplatz komplett von diesen sonst zu hunderten geparkten Blecheseln befreit. Ein Betrachter zermarterte sein Hirn mit endlosen Fragen über den Sinn und Unsinn dieses vermeintlich neuen Standortes und kriegt so nebenbei während seiner Warteperiode auf dem Bahnsteig mit, unter welchen Schwierigkeiten besagte Aktion bewerkstelligt wurde. Denn am Tag X waren längst nicht alle Fahrradbesitzer der Aufforderung nachgekommen, ihr Rad andernortes abzustellen. So mußten die eifrigen Bauleute unter den Augen der Gesetzeshüter so manche Schlösser gewaltsam knacken, um die leidigen Vehikel in diversen Hallen zwischenzulagern. Gänzlich verwirrt reagierte unser Pendler, nachdem er immer noch nicht herausgefunden hatte, wo er bei besserem Wetter demnächst sein eigenes Fahrrad abzustellen hätte, als er eines Morgens aus dem Bus vorm Atrium aussteigend seinen Blick auf den Mittelstreifen des Berliner Platzes heftete und dort eine gähnende Leere wahrnahm. Nichts erinnerte mehr an die Halterungen und Drahtesel. Noch ratloser und verblüffter reagierte er als er besagte Haufen nunmehr wieder an vertrauter Stelle auf dem Bahnhofsvorplatz entdeckte.

Plötzlich erinnerte er sich an die Headline der BZ im Lokalteil ”In einer Woche kommen die Bagger”. Blitzartig kombinierte er, daß dieses im Zusammenhang mit dem Umschaufeln der Räder stehen könnte. Irgendwie erschien es ihm logisch, denn besagte Bagger sollten die Fußgängerbrücke über dem Berliner Platz platt machen und da könnten natürlich herunterfallende Betonbrocken Sachschäden an den dort zuvor zwischengelagerten Rädern anrichten.

Aber der große Plan muß den Machern in ihrer Geschäftigkeit abhanden gekommen sein, sonst hätte man durch einfache Koordinierung der Abläufe viel Zeit, Kraft und Steuergelder einsparen und für gestalterische Elemente einsetzen können. Die hastig nachgeschobene Idee, den Blick der Anreisenden auf dem Bahnhofsvorplatz auf eine Plastik zu lenken, die an die weltweit einzige Atomuhr in Braunschweig erinnert erscheint wie ”ein Tropfen auf den heißen Stein” und bietet keine Lösung hinsichtlich der Einbindung des Bahnhofes in den Gesamtzusammenhang der Stadt Braunschweig.
Till Eulenspiegel läßt grüßen.
Heidi Wanzelius

 

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