600 Jahre Sinti in Deutschland:
Eingetaucht in den endlosen Zug christlicher Pilger
erreichten Sinti und Roma bereits im Mittelalter Deutschland und wurden 1407
erstmalig in Hildesheim erwähnt. Anlässlich einer Überprüfung ihrer Papiere
mussten sie sich am 20. Sept. 1407 auf der Stadtschreiberei einfinden und
erhielten bei dieser Gelegenheit freundlicher Weise “ein halbes Stübchen
Wein“.
Woher sie
kommen
Geheimnis
um wogen kursierten in der Vergangenheit seltsame Vorstellungen über ihre
Herkunft, deren Schleier sich erst im 18. Jahrhundert lüftete.
Ihre
Sprache, das „Romanes“, war der Schlüssel zu ihrer
Herkunft im Nordwesten Indiens.
Im
Tross der Karawanen machten sie sich vermutlich vor hunderten von Jahren mit
ihren Pferdegespannen (griech.: Zygon) über die Seidenstraße auf den Weg nach Europa.
Vollgepackt mit ihren Frauen, Kindern und diversen Habseligkeiten
trafen sie im Mittelalter über den Balkan kommend in Deutschland ein.
Hier
wurden sie „Bohemiens“, „Ägypter“ oder auch „Sarazenen“ genannt. In unserer
Gegend bezeichnete man sie schlicht
als „Tataren“ oder auch als „Tattern“, wie man der Hildesheimer
Stadturkunde,
aber auch den Elmsagen entnehmen kann.
Seit
ihrer ersten Wanderung gen Westen haben die Sinti und Roma nicht aufgehört
ihren Beitrag zu unserem musikalischen Leben zu leisten.
Bereits
der persische Philosoph und Historiker „Al Firdursi“
weist darauf hin, dass sie neben ihren
traditionellen Handwerkerberufen einen Randberuf: den des Musikers, der gegen
Geld Wissen und Freude verkauft, ausübten. Während ihrer Wanderung durch eine
Vielzahl von Ländern nahmen sie unbewusst die Musik der anderen Kulturen in ihr
Gedächtnis mit auf, und wurden so zu
Vorgängern der heutigen Weltmusik.
Bereits
im 15. Jahrhundert traten sie auf Jahrmärkten, Marktplätzen und in den
Wirtsstuben als Spielleute auf und beteiligten sich an
weltlichen und religiösen Feiern. Man nannte diese Zeitepoche auch das „Goldene
Zeitalter der „Zigeuner“.
Bis
sie dann ab 1499 von der katholischen Kirche der Wahrsagerei und Hexerei
bezichtigt,
allgemein als Sündenböcke geächtet und für vogelfrei erklärt wurden. Ruhelos
zogen sie im Land umher, versteckten sich in den Wäldern und wurden vielfach
Opfer von Pogromen.
Bis
ins 18. Jahrhundert wurde ihnen das Nomadenleben untersagt. Später dann,
während der Zeit des Nationalsozialismus, folgte ein noch größeres Martyrium,
in dessen Verlauf 500.000 Sinti und Roma in Europa vernichtet wurden.
Geschichte
der Sinti in Braunschweig
Auch
in Braunschweig wurden Sinti-Familien während der
Zeit des Nationalsozialismus Opfer von Verfolgung und Ausgrenzung durch die
Mehrheitsbevölkerung. Seit 1938 unter unmenschlichen Bedingungen in einem
Lager in Veltenhof festgesetzt, werden sie in der Nacht vom 2. zum 3. März
1943 nach Ausschwitz deportiert und viele von ihnen
vor Ort ermordet. Aus Berichten von Überlebenden wissen wir, dass einige sich
über das Beherrschen ihres Instrumentes retten konnten und um ihr Leben
gespielt haben.
Die
Rolle der evangelischen Kirche in Braunschweig nach der Nazi-Zeit
Sehr früh übernahm die evangelische Kirche nach dem Ende
der Gewaltherrschaft die Stärkung der überlebenden Sinti und Juden in
Braunschweig. Herr Pastor Althaus gründete eine Missionsstelle für „Zionisten
und Zigeuner“ und widmete sich über viele Jahre der Betreuungsarbeit.
In den 70iger Jahren rief
Pastor Erchinger, damals noch ev. Studentpfarrer eine Arbeitsgruppe „Holocaust“ ins Leben
und stärkte die aufkommende
Bürgerrechtsarbeit
der überlebenden Opfer des Naziregimes. Auch Sinti-Familien
suchten den Kontakt zu dieser Arbeitsgruppe und wurden bei der Durchsetzung
ihrer Rechte auf bessere Wohnbedingungen auf dem „Landfahrerplatz Madamenweg“
sowie bei ihrem mühseligen Kampf um
Entschädigung
unterstützt. Bis zu seiner Pensionierung oblag Herbert Erchinger
dann später, neben seiner eigentlichen Berufung das Amt des Pastors für die Sinti
und Roma in der ev. Landeskirche in Braunschweig.
Erinnerungsarbeit
Gemeinsam mit dem braunschweiger forum, einem Verein für bürgernahe Stadtplanung gelang es
der Gruppe „Holocaust“ erstmalig am 3. März 2000 im Rathaus einen Empfang für
die Braunschweiger Sinti zu organisieren, die Ausschwitz
überlebt haben. Nach einer Aussprache mit dem damaligen Oberbürgermeister
Steffen und dem Oberstadtdirektor Bräcklein wurde
eine jährliche Gedenkfeier sowie die Einrichtung einer Erinnerungsstätte für
die ermordeten Sinti im Rathaus vereinbart.
Darüber hinaus wurde ein Historiker nach 60 Jahren damit beauftragt, ihre
Geschichte aufzuarbeiten.
Im Jahre 2003 wurde die Gedenkstätte im Rathaus eingeweiht
und jährlich der Opfer gedacht.
Identität über ihre Kultur bewahren
Einen
Teil ihrer Identität retteten die Sinti und Roma über ihre ursprüngliche
Lebensweise und Religion, ihre mündlich überlieferten Mythen und Märchen, ihre
Sprache und insbesondere ihre eigene Interpretation der Musik, deren Wurzeln
in Indien zu suchen sind.
Django
Reinhardt, einer der größten Sinti-Jazzer und musikalisches Vorbild für andere europäische
Musiker
Kreativ und spielerisch erschafft der junge Django Reinhardt einen besonderen Jazzstil.
Er
gründet noch in den 30iger Jahren des letzten Jahrhunderts den „Hot Club de
France“, eine musikalische Verschmelzung aus der traditionellen Spielweise der
Zigeuner,
dem „valses musettes“ (frz.
Walzer) und dem „New Orleans Jazz“. Schnuckeschnack Reinhardt, Häns’che Weiß, Martin Weiß und andere bewahren sein
musikalisches Erbe eines ganz
eigenen
Zigeuner- oder Gypsy-Swings.
Django
Reinhardt-Festival rund um die Pauli-Kirche
Freuen
sie sich mit uns, dass wir einige dieser hochkarätigen Sinti-Musiker
am Samstag, den 14. Juli 2007 hier
bei uns in Braunschweig begrüßen können.
Im Rahmen des diesjährigen St. Pauli-Gemeindefestes organisieren wir in
Zusammenarbeit mit den Kreativen der ev. Kirchengemeinde in der Zeit von 19-23.00 Uhr ein Django-Reinhardt-Festival unter freiem Himmel
rund um unsere Kirche.
Mit dabei ist das legendäre Häns’che Weiß Ensemble aus Nürnberg, eine vielversprechende Kombination mit Häns’che Weiß an der Gitarre, Vali Mayer am Kontrabass und dem Nachwuchs-Musiker Micky Bamberger am Piano. Das Durchdringen von Zigeunermusik im Stil der Sinti-Manouche-Tradition mit amerikanischem Jazz und Latino Rhytmen zieht eine immer größer werdende Zahl von Fans in ihren Bann.
Als
Gast begrüßen wir weiterhin den weltberühmten Geiger Martin Weiß aus Berlin, dessen Virtuosität, Brillanz und
Melancholie
die Zuhörer in seinen Bann lockt.
Gemeinsam mit Kussi Weiß an der Gitarre, der für seine schnellen Improvisationen bekannt ist, und Tschabo Franzen, der als Rhythmusgitarrist für die nötige Entfaltungsfreiheit sorgt und von Maurice Weiß an der Gitarre begleitet wird, bringt Dietmar Osterburg am Baß die nötige Ruhe und Souveränität ins Spiel. Auch ihre Gypsy-Musik wird geprägt durch den besonderen Stil des „Hot Club de France“.
Ein
kleiner Hinweis auch auf das am 13. Juli statt findende Gypsy-Konzert rund um die St.Pauli-Gemeinde
(Eintritt:10 €)
Eine besonderer
Genuss erwartet sie bereits am Freitag. Ab
20.00 Uhr wird eine 8-köpfige Roma-Band aus
den Westkarpaten Rumäniens auftreten. Mit wunderbaren Klängen verzaubern die exzellenten Roma
Musiker ihr Publikum mit authentischer Musik und Liedern der Kalderasch und Lovari,
verschiedener
Gajo dilo Stämme, aus denen
sich das Volk der Roma zusammen setzt.
Dem ehemaligen
Bärenführer, einem montreur dòus,
mit Namen Dimitri Serguei Lazarr,
ist es zu verdanken, das aus einem eher zufälligen Zusammentreffen die Gruppe
Urs Karpatz
geformt wurde.
Mittlerweile Sänger
in dem Ensemble, verfügt er über ein Repertoire von traditionellen Liedern,
bestechender Qualität und stilistischer Vielfalt, interpretiert in der
Zigeunersprache,
Romanes.
Heute ist er – wenn es
um die authentische Musik der Roma südosteuropäischer Provenienz geht – aus dem
Konzertgeschehen nicht mehr wegzudenken. In Europa sowie zunehmend auch
jenseits des
Atlantiks, in Kanada
und den USA wird die Gruppe Urs Karpatz frenetisch von ihrem Publikum bejubelt.
Wir freuen uns, sie
bei uns in der St. Pauli Gemeinde begrüßen zu können und hoffen, dass dieses Konzert
ein langanhaltendes Echo findet und die Vorbehalte
gegen Sinti und Roma
hinwegwischt. Wir wünschen uns das Bewahren einer jahrhunderte alten
Tradition und das Einlassen der Mehrheitsgesellschaft
auf die spannende Kultur einer in Europa lebenden bunt schillernden, aber in
weiten Teilen auch bitterarme ethnische Minderheit.
Dimitri: chant
Tikno:accordéon
Lolik: chant, percussion
Matcho: clarinette, saxophone
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